Reparieren statt Ausbrennen

VERÖFFENTLICHT AM: September 13, 2023

Lieber Jan-Christoph Gockel,

[…]

Die Zukunft sah schon rosiger aus, besonders was das Klima betrifft. Das 1,5-Grad-Ziel ist nur noch eine verblasste Hoffnung, nachfolgende Generationen werden uns verfluchen. Und schon bei kleinen Opfern droht Streit: Wärmepumpe gegen Gasheizung, wer soll das bezahlen? Dabei werden wir noch auf einiges mehr verzichten müssen, beruflich wie privat, wenn der Planet lebenswert bleiben soll. Flugreisen? Autofahren? Fleischkonsum? Energieverbrauch? Kleidung? Am Ende muss jede:r bei sich selbst und seiner persönlichen CO2-Bilanz anfangen. 

Deshalb unsere Frage ganz konkret: Worauf werden Sie ab jetzt verzichten, um das Klima zu schützen? Mal ehrlich?

(theater heute Jahrbuch 2023 | Veröffentlichung 24. August 2023 | Mehr Infos hier)

 

Film-Still 1 aus COLTAN-FIEBER: CONNECTING PEOPLE

 

Reparieren statt Ausbrennen

Verzicht als Schutz vor Burnout, vor dem globalen und dem persönlichen.

Mich persönlich hat die Corona-Pandemie vor dem Burnout bewahrt. Ich war zu dieser Zeit mit so vielen Projekten gleichzeitig beschäftigt, dass es diese höhere Gewalt brauchte, um anzuhalten. Ich habe – auch während Corona – nicht wenig gearbeitet, hatte Glück, dass keines meiner Projekte abgesagt (nur verschoben) wurde, wie es vielen anderen Kolleg:innen passierte, aber alles war auf einmal veränderbar. Alles kann verschoben werden, abgesagt, verändert werden. Das war auch schon vor der Pandemie so, ich hatte es nur nicht wirklich zur Kenntnis genommen. Dieses Gefühl hilft.

Jetzt ist es nicht so, als würde ich wenig arbeiten. Ich liebe meine Arbeit. Was mich aufgefressen hat, war der permanente Druck, mich immer wieder neu zu erfinden. Gar nicht die Probenarbeit an sich, sondern die kommenden Projekte und der Gedanke – woher er auch immer kam – da wieder etwas ganz Neues präsentieren zu müssen. Ich denke, das geht vielen so. “Für unsere Relevanz haben wir noch keinen anderen Weg gefunden, als zu produzieren, zu produzieren, zu produzieren.” sagte kürzlich der scheidende Festwochen-Leiter Christophe Slagmuylder. Die Betriebe seien nach Corona wieder voll hochgefahren. Dabei sprechen wir so viel über Verzicht: Heizungen werden herunter gedreht, es wird weniger geflogen – sinnvolle Maßnahmen – aber während die Gänge der Theater kalt bleiben, läuft der Betrieb heiß. Der Planet brennt ab und die Menschen brennen aus. Von vielen Kolleg:innen höre ich von Überlastung und Burnouts. Menschen kündigen, machen Pause oder gehen dem Theater ganz verloren. Durch die Unterbesetzung der Dramaturgien und Büros werden die, die übrig sind zur Feuerlöschbridarde, haben noch mehr Arbeit – und  meist weniger Zeit für Kunst.

Deshalb mein Verzicht: eine NEUE Arbeit weniger pro Saison. In den nächsten Jahren wird eine Inszenierung pro Jahr die Fortführung einer schon existierenden. Keine Übernahme, Wiederaufnahme, sondern die neue Fassung von etwas, an dem ich schon mal gearbeitet habe: Kommende Spielzeit kommt Heiner Müllers DER AUFTRAG ans Deutsche Theater Berlin. Vor sieben Jahren habe ich in Graz schon mal daran gearbeitet, dort in Kombination mit DANTONS TOD. Ich möchte nun den Müller-Stoff vor dem “Hintergrund Berlin” noch einmal neu lesen. Und unter Einbeziehung anderer Perspektiven: Elemawusi Agbédjidji, Autor aus Togo, schreibt einen Kommentar, eine Erwiderung zu Müllers Text, Titel PSYCHE 17. Er arbeitet sich darin an einem Bild aus Müllers Text ab: der Mann im Fahrstuhl hat das Gefährt, das ihn aus dem globalen Norden in den Süden gebracht hat, verlassen und geht in der ihm unbekannten Welt verloren. An diesem Moment dockt PSYCHE 17 an: Eine junge Frau steigt in den Fahrstuhl ein und fährt in die Zukunft: die Frau im Fahrstuhl. Eigentlich in der Fiktion schon ein Recycling-Vorgang mit der Frage: taugt das alte Gefährt, der Fahrstuhl, konstruiert, um Hierarchien zu manifestieren für eine neue Reise? Lässt sich aus alter Technik Zukunft beziehen?

Zugegeben: Es gibt den Vorteil, dass Iris Laufenberg an beiden Häusern meine AUFTRAG-Geberin war bzw.ist. Sie war die Intendantin in Graz und wird es in Berlin. Über “Intendanzgrenzen” hinweg Inszenierungen mitzunehmen, fortzusetzen ist sehr schwer. Viel zu sehr gilt: “mach das bei uns noch mal genauso, aber besser”. Es gibt warnende Stimmen: wenn es in Berlin als Wiederaufnahme rüberkommt, auch noch aus Graz (geflüstert: aus der Provinz) wird es schwierig. Gegenüber Theater und Presse entsteht schnell das Gefühl, dass man B-Ware anbietet: “Das hast du ja schon gemacht” – die Forderung nach neu, besser, Innovation wird von den Theatern, die in diesem Falle als konkurrierende Betriebe auftreten und auch der Presse hochgehalten. Dabei ist das Weiterarbeiten, das Vertiefen für mich ein zentraler Gedanke. “Reparatur ist die Möglichkeit, Dinge besser zu verstehen“, schreibt Richard Sennett.

(zum zitierten Interview mit Christophe Slagmuylder: https://www.derstandard.de/)

Film-Still 2 aus COLTAN-FIEBER: CONNECTING PEOPLE