Wettbewerb Dokumentarfilm | Filmfestival Max Ophüls Preis

COLTAN-FIEBER: CONNECTING PEOPLE

Eine peaches&rooster Produktion. | Koproduktion: africologneFESTIVAL, R.P.D.Fi. Goma (DR Kongo), Theater im Bauturm Köln, Schauspielhaus Graz | Mit Yves Ndagano, Ernestine M’Kajabika, Léontine M’Kajabika, Esperence, Ghislain Chimanuka, Julio, Juvenal Muderwa, Ladisi Kajabika Mukabaha, Michael Pietsch, Gianni La Rocca, Patrick Joseph, Laurenz Leky | Internationale Teams: Bangladesch: Tanvir Nahid Khan, Bangladesch: Anonnya Banik, Belgien: Gianni La Rocca, Berlin: Chao Liu, China: HUA Dong, Ghana: Bernard Akoi-Jackson Kolumbien: Tiago Seither Afonso Lesbos: Atifa Akbari, Refocus Media Lab, Niger: Maman Iro Abdoul Aziz, Ruanda: Yves Kijyana Peter | Gefördert durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste, das Auswärtige Amt Deutschland, den Partnerschaftsverein Rheinland-Pfalz / Ruanda e.V., Shift Phone & das Schauspielhaus Graz | unter Nutzung von Filmausschnitten von Christian Hennecke | Produktionsleitung DR Kongo: TD Jack Mahamba Muhindo | Farbkorrektur: Eike Zuleeg | Ton: Tavis Jean-Batiste | Tongestaltung und Mischung: Oliver Achatz | Tongestaltung: Leon Felker | Toneffekt-Schnitt: Stephan Becker | Musik: Matthias Grübel | Puppenbau: Michael Pietsch  | Kamera: TD Jack Mahamba Muhindo & Eike Zuleeg | Montage und Dramaturgie: Christoph Otto |  Producerin: Kathrin K. Liess  | Produktion / Produzent: Jan-Christoph Gockel / peaches&rooster | Regie: Jan-Christoph Gockel & TD Jack Mahamba Muhindo | Weltpremiere: Filmfestival Max Ophüls Preis – Wettbewerb Dokumentarfilm



„Wir alle tragen ein Stückchen Kongo in der Hosentasche – unsere Smartphones.“ Yves Ndagano,
COLTAN-FIEBER: CONNECTING PEOPLE

Yves Ndagano ist ein ehemaliger Kindersoldat und Schürfer einer Coltan-Mine im Osten der Demokratischen Republik Kongo. In COLTAN-FIEBER: CONNECTING PEOPLE reist er erstmals zurück an die Orte seiner Kindheit, um sich seiner eigenen traumatischen Geschichte an deren Originalschauplätzen wieder zu bemächtigen. Mit einer Holzpuppe als sein Stellvertreter kann er das Unsagbare, was ihm geschehen ist, ausdrücken. Während des Filmdrehs zeigt sich, dass der Kampf um die Rohstoffe die Region immer noch bestimmt. Ndagano begegnet seinen Entführern, er kehrt zurück in die Coltan-Mine und an den Ort, an dem er zum Mörder gemacht wurde. Er versucht so aufzudecken, in welchem Zusammenhang sein Schicksal mit dem globalen Rohstoffhandel steht. Schließlich konfrontiert er auch seine Familie, die ihm jahrelang mit Ablehnung begegnet war – dann bricht während des Filmdrehs der Vulkan Nyiragongo aus…

Diesen inneren und äußeren Zerstörungen begegnet Yves Ndagano mit einem in Europa unterschätzen Konzept: der Reparatur. Dem Glauben, dass Dinge wiederhergestellt werden können und daraus Neues entstehen kann. 

Gefördert durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste, das Auswärtige Amt Deutschland, den Partnerschaftsverein Rheinland-Pfalz / Ruanda e.V., Shift Phone & das Schauspielhaus Graz

77 Minuten | Sprachen: Französisch, Englisch, Deutsch, Lingala, Maschi, Swahili
Mit deutschen und englischen Untertiteln.

 

„Der Kameramann und Filmemacher Muhindo erschafft die Bilder dieser großartigen Trauma-Austreibung – und führt uns an Orte, an die Gockel wohl niemals gekommen wäre.“ Dorothea Marcus, Theater Heute, März 2022

„Und so ist ‘Coltan-Fieber: Connecting People’ dank der Pandemie eine faszinierende Umkehrung der Erzählperspektive zwischen globalem Norden und Süden geworden. (...) ‚Gut geht es mir nicht, wenn ich meine eigene Geschichte auf der Leinwand erlebe, aber ich muss sie einfach weiterverbreiten – bei uns im Kongo und hier im Westen‘, sagt er: Es ist sichtbar seine eigene Entscheidung und eben nicht die Brille eines weißen Regisseurs.“ Dorothea Marcus, Theater Heute, März 2022

HINTERGRUND

Regiestatement von Yves Ndagano & Jan-Christoph Gockel

Unser Film zeigt nicht nur meine Geschichte, sondern spiegelt die Lebensrealität vieler Menschen wider. Die Bedeutung der Ressourcen und Rohstoffe ist für uns hier im Kongo keine theoretische. Ich sage das, weil ich in der Mine gearbeitet und in der Rebellenarmee gekämpft habe, ohne zu wissen, was ich ausgrabe und warum ich Menschen töten musste. Die Welt muss erfahren, warum die Menschen in einer der reichsten Regionen der Welt so arm sind und wer von diesem Reichtum profitiert. Es ist für mich sehr wichtig, dass dieser Film nicht nur im Kongo, sondern auch dort gezeigt wird, wo das Coltan schließlich landet. Wir alle tragen ein Stückchen Kongo in der Hosentasche – unsere Smartphones.

Yves Ndagano

 

Ich habe Yves Ndagano 2014 kennengelernt, als ich auf einer Recherchereise für eine Theaterproduktion den Osten der DR Kongo besucht habe. Er formulierte den Wunsch, gemeinsam seine Geschichte zu erzählen. Es gibt in seiner Biografie viele Momente, die für ihn unaussprechbar grausam und traumatisierend sind. Das Erzählen dieser Geschichten übernimmt für ihn die Holzpuppe Leopold. Leopold ist der einzige, der für diesen Film ein Flugzeug bestiegen hat. Yves und ich haben gemeinsam die Reise dieses Films bestritten, ohne jemals am gleichen Ort gewesen zu sein. Der Film legt die Perspektiven, aus denen wir erzählen, offen.

Jan-Christoph Gockel

 

Das Theaterstück COLTAN FIEBER haben wir über mehrere Jahre an vielen Orten (in Deutschland, Österreich, Burkina Faso und dem Kongo) gezeigt. Es war jedoch nie möglich damit in den Osten der DR Kongo zu reisen – an die Orte, an denen Yves Geschichte stattgefunden hat. Zuletzt machte die Corona-Pandemie eine Reise, die ich dokumentarisch begleiten wollte, unmöglich. Wir beschlossen mit einem Team im Kongo und einem in Deutschland, die sich physisch während des Drehs nicht begegnet sind, zu arbeiten. Yves reiste mit dem kongolesischen Kameramann und Regisseur TD-Jack Muhindo Mahamba an die Originalschauplätze seiner Geschichte. Ich drehte mit Puppenbauer und -spieler Michael Pietsch in seiner Werkstatt und produzierte den Film von Deutschland aus. Die fortgeschrittene Digitalisierung machte diese Arbeit möglich. Yves sagte ein mal dazu: “mit dem Coltan, das ich ausgegraben habe, können wir jetzt miteinander kommunizieren.” Es geht uns nicht um die Verdammung von Technologie, sondern darum transparent zu machen, welchen Folgen ihre Herstellung für das Leben anderer Menschen hat. Dabei kommt der Kunst mE eine zentrale Rolle zu, denn aus der bloßen Information (die Folgen unseres Lebensstils sind uns alle bekannt) resultiert erst ein mal nichts. “Im Gegensatz zur bloßen Information, die als eindimensional sowohl zeitlich wie auch räumlich zu verstehen ist, ergänzt die Erzählung die Information um die „übrigen Zeiten“ und die „Grammatik der Erfahrung“, in der sich Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft und die Wünsche bündeln – und die Erzählung allererst begründen.” Wir folgen Alexander Kluges Gedanken, der den Lebenslauf zum Gefäß aller Erfahrungen der Welt erklärt. 

Jan-Christoph Gockel

 

Kinder werden im Kongo entführt, versklavt und als Kindersoldaten eingesetzt. Kinder an anderen Orten der Welt arbeiten in der Industrie, um die Rohstoffe des Kongo weiter zu elektronischen Geräten zu verarbeiten. Am Ende dieser Kette, die sich um die ganze Welt spannt, stehen oft wieder Kinder, die diese Geräte – Smartphones oder Spielkonsolen – in ihren Händen halten. Theater und Film sind für mich Mittel darauf aufmerksam zu machen. Und die Kunst trägt hier eine große Verantwortung: einige Filme haben Kindersoldaten zu Tötungsmaschinen stilisiert und ihnen ein unmenschliches Gesicht gegeben. Mit unserem Film wollen wir zeigen, dass Kindersoldaten Menschen sind. Diese Geschichten sind Teil unseres Alltags sowie die Minen Teil unseres Lebens sind. Das soll unser Film – in dem ich die Möglichkeit habe meinen Teil dieser Geschichte selbst zu erzählen – zeigen.  

Yves Ndagano

 

Ich arbeite im Theater seit mehreren Jahren zu postkolonialen Themen und mein erster Spielfilm DIE REVOLUTION FRISST IHRE KINDER (Viennale 2020) stellt die Frage, wie eine Zusammenarbeit zwischen Künstler:innen im aktuellen Nord-Südgefälle und ungleich verteilten Privilegien möglich ist. In COLTAN-FIEBER haben wir unser Konzept, dass die unterschiedlichen Perspektiven und Zugänge zu einem Thema im Kunstwerk sichtbar bleiben, radikalisiert. Der Blick eines kongolesischen Filmteams auf eine Coltan-Miene ist anders als meiner. Unser Film stellt diese Perspektive neben den globalen Zusammenhang, in dem diese Mine steht. Es ist ein Film, der nur durch transnationale Kooperation entstehen konnte. Ein politischer Film, der seine Aussagen nicht vereinfachen muss, um Menschen zu erreichen und berühren. Wir suchen einen Ausdruck für die Komplexität des Geamtbildes, seine vielen Schichten, aber auch Abbrüche. 

Jan-Christoph Gockel