Pressestimmen DER AUFTRAG / PSYCHE 17

VERÖFFENTLICHT AM: November 28, 2023
  • Der Auftrag / Psyche 17

An Heiner Müllers euro-zentristischem Blick auf gescheiterte Revolutionen kann man sich heute kritisch reiben. Oder ihn neu entdecken, wie Regisseur Jan-Christoph Gockel es nun tut: mit einer Gegenrede von Elemawusi Agbédjidji und einer Formensprache, die das Machtgefüge freilegt und schaudern lässt. […]
Die drei [Julia Gräfner, Komi Mizrajim Togbonou und Florian Köhler] spielen ein Roadmovie, ganz en passant wischt Gockel das Diktum vom Tisch, Heiner Müller könne man nur mit seiner eigenen typischen Diktion sprechen: kalt und trocken. […] Aber Müller hat sich geirrt: Seine Sprache sträubt sich kaum gegen die Zumutungen der Natürlichkeit und bleibt dabei doch eine Urgewalt voll Tragik, Komik und Trauer. […] Gockel hat im Gegenteil sehr geschickt die grausig sexistischen Stellen gestrichen, die einem als Frau heute den Müllertext beim Lesen völlig vergällen können, und hat ihn dann, sanft gesäubert, auf neue Weise zum Leuchten gebracht. […]
In den Autor Heiner Müller kann man sich nun frisch verlieben, Dank einer großartigen Truppe, Gockels genialem Formenmix und einem Ganzen, über dem die tatsächlich die Sterne mit ihren Rätseln aufgehen.

Gabi Hift, nachtkritik.de

 

Wie viel kann man einem Publikum zumuten? Jan-Christoph Gockel zufolge, alles. […]
„Der Auftrag/Psyche 17“ ist eine traurige und hässliche, aber dennoch gelungene Zumutung, die jeglichem Rassismus den Krieg erklärt.

Mareike Sophie Drünkler, B.Z., 30.10.2023

 

Jan-Christoph Gockel steht für eine neue Regiegeneration, die nicht mehr nur aus ihrer eigenen Perspektive eines privilegierten westeuropäischen Künstlers inszenieren möchte, sondern die den Blickwechsel mitdenkt. „Den Rassismus auszuwalzen, um ihn dann aufzulösen, ist nicht mehr das Mittel, das wir verwenden“, sagt er. Und das bezieht sich genauso auf Heiner Müllers Text wie auf eine ältere Generation von Regisseuren, die sich kritisch, aber aus seiner Sicht bisweilen allzu kraftmeiernd mit wichtigen Zeitthemen befasst hat.

Elena Philipp, Berliner Morgenpost, 27.10.2023

 

Denn der Regisseur Jan-Christoph Gockel hat mit dem Ensemble auch eine Textarbeit geleistet, die ihresgleichen sucht. […] Julia Gräfner als Debuisson, Florian Köhler als Galloudec und Komi Mizraijm Togbonou als Sasportas gelingt das seltene Kunststück, Heiner Müller für die Gegenwart aufzuschließen, indem sie ihn im besten Sinne alltagsdurchlässig klingen lassen und so, ohne ihn zu denunzieren, anschlussfähig machen für rezeptionskritische Gegenwartsdiskurse […] Bei Elemawusi Agbédjidji und Jan-Christoph Gockel ist es die Schauspielerin Isabelle Redfern, die – auf der Suche nach ihrer abhanden gekommenen Brille aka der „richtigen“ Perspektive auf die Welt – in einem Fahrstuhl aufwärts und abwärts fährt. […] Und gelangt letztlich, anders als Müllers Personal, zumindest zu Momenten von Optimismus. Aber auch das ist wieder nur ein Bruchteil dessen, was an diesem Abend im DT stattfindet.

Christine Wahl, Tagesspiegel, 30.10.2023

 

Die Inszenierung lebt von ihrer grandiosen, albtraumartigen Bildsprache und einer verdichteten Bühnencollage (Bühne:Julia Kurzweg). […] All das taucht die Szenerie in eine apokalyptische Atmosphäre, die die Schatteneite des europäischen Werteexports hervorhebt.

Anja Thiele, Der Freitag, 44/2023

 

Heiner Müller […] darf sich nun mit einem Text an einem anderen reiben: Am Deutschen Theater wird Der Auftrag von Müller mit Psyche 17 von Elemawusi Agbédjidji kombiniert – herausgekommen ist eine sprach- und bildmächtige Kolportage von starken Szenen und starken Gedanken. Regisseur Jan-Christoph Gockel ist eine heftige, dichte Auseinandersetzung gelungen. […]
Die geschickte Inszenierung von Gockel lässt politisches Handeln als oftmals hohle Phrase erscheinen, individuelle Motivationslagen gar dekadent und geopolitische Zusammenhänge als Korsett, das Menschen die Luft nimmt, die sie für die individuelle Lebensgestaltung brauchen. Brutale Sprache, dichte Bildwelt!

Eva Britsch, Theater: Pur

 

Das neue Ensemble-Mitglied Julia Gräfner (hier als glatzköpfiger Anzugträger Debuisson) ist eine Wucht!

Barbara Behrendt, Die Deutsche Bühne

 

Regisseur Jan-Christoph Gockel hat die düstere Dialektik dieses Meilensteins der Revolutionsliteratur zu erstaunlicher Klarheit verkürzt und zudem mit einer kritisch-modernen Weiterschreibung des togolesischen Autors Elemawusi Agbédjidji kollagiert. […]
Man reibt sich die Augen, wie leicht und mit wenigen, kräftigen Strichen die ungeheuren Zeit- und Perspektivverschiebungen hier über die Bühnen gingen.

Doris Meierhenrich, Berliner Zeitung, 30.10.2023

 

Bei seinem Debüt in Berlin arbeitet er daran weiter und setzt dazu die neuen Ensemblemitglieder Julia Gräfner, Florian Köhler, Komi Mizrajim Togbonou und Evamaria Salcher sowie die Gäste Raphael Muff, Michael Pietsch, Isabell Redfern und Claude Bwendua in Szene. Sie alle sind Träger seiner Botschaft. Auf Dreh-, Hebebühne und Leinwänden (Julia Kurzweg), mit Puppen (Michael Pietsch, langjähriger Theaterpartner Gockels), Livekamera, Livemusik, in Autos, Anhängern, Theater-Theatern, totenkopfartigen Masken, Fahrstühlen – alle Gewerke kommen auf ihre Kosten.

Sophie Klieeisen, Berliner Morgenpost, 30.10.2023

 

Herausragend in dieser ersten Hälfte sind die Skullies-Masken und Ganzkörperkostüme von Claude Bwendua: das Trio der scheiternden Revolutionäre kurvt in einem klapprigen alten Auto über die Bühne und wird von den moribiden, zähnefletschenden Gestalten sowie Evamaria Salcher als The Doors-singendem Engel umkreist.

Konrad Kögler, Das Kulturblog