LJOD | KRITIKENRUNDSCHAU

VERÖFFENTLICHT AM: Mai 8, 2019
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„Drei Romane, fünf Stunden Spieldauer, null Langeweile. Er ist ein raffinierter Kerl, dieser Mittdreißiger Jan-Christoph Gockel. (…) Frappierende Szenen- und Lichtwechsel, Hörspielmomente, Handlungstheater, Erzähltheater, Publikumsansprache, Gesang, Tanz, Tragik, Komik, Surrealität: Das zehnköpfige Ensemble agiert in bemerkenswerter Darstellungsvielfalt. (…) Inhaltlich interessant wird das Geschehen durch den Umstand, dass es Parteiergreifen unmöglich macht. Teufel und Belzebub, Regen und Traufe stehen sich als Alternativen gegenüber. (…) Dem Ensemble wird hier allerhand abverlangt und reihum auch fabelhaft erbracht – von erschrockener bis selbstbewusster Nacktheit über blutige Brutalität und albtraumhafte Orgiastik bis hin zu satirischer Flapsigkeit gleich neben Höllenangst und tiefem Seelenschmerz.“

Rhein-Zeitung, 29.04.2019

 

„Ein ambitioniertes Unterfangen, bei dem Gockel aus dem Vollen schöpft: Der erste Teil „Ljod. Das Eis“ kommt tatsächlich in cooler, spannungsreicher Serienästhetik daher, mit zahlreichen Live-Kamera-Einsätzen auf einer schlichten, wandelbaren Containerbühne (Julia Kurzweg). (…) Hier gelingt der Inszenierung ein steter Grenzgang zwischen Ekel und Faszination, der ein einfaches Abtun der elitären Sekte unmöglich macht.

Der zweite Teil „Bro“ reist zurück zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Er nimmt sich erstmal aus wie eine Tschechow-Parodie, mit Männern in hellen Anzügen (die fliegend den Wechsel vom Bourgeois zum Genossen unternommen haben), die debattierend und dinierend im Zug Russland durchqueren, um einen mysteriösen Meteoriten zu bergen – aus dessen kosmischem Eis später die Eishämmer gefertigt werden. Den Meteoriten findet ein Mathematikstudent, der künftige Sektenführer Bro, mit fiebrigem Irrsinn gespielt von Vincent Doddema, der nach seinem Erweckungserlebnis schreiend komisch an der Rampe steht und verkündet, er durchschaue nun die Welt und das Mysterium liege offen vor ihm – „aber wo?“.

Schließlich schwingt sich das Spiel empor zu einem Ensemble-Tänzchen in Naziuniformen, das Leni Riefenstahls Choreografien der Macht vielleicht kostengünstig, aber doch sehr witzig persifliert. Scheinbar leichterhand gelingt es Gockel und dem bestens aufgelegten Ensemble, die herausfordernde Vielschichtigkeit der Romane auszuspielen, ihre Ambivalenzen und Verweisebenen, die grausamen, unheimlichen Herrenmenschenfantasien und die ganz alltäglichen Sinnfragen eines von Leid und Langeweile durchwebten Lebens Seit an Seite zu stellen – Sinnfragen, denen diese Fantasien ja durchaus auch entspringen. Nahezu gruselig ist die Figur der Chram, eines „erweckten“ russischen Mädchens, das mit blitzenden Augen loszieht, um ihre „Brüder“ und „Schwestern“ zu finden – 23.000 an der Zahl sollen es sein. Sowohl Leoni Schulz als auch Monika Dortschy spielen diese von ihrer Mission durchdrungene, ja besessene Chram mit einer furcht- und mitleidlosen Konsequenz, die einen erschauern lässt vor den Möchtegern-Übermenschen dieser Welt.

(…) „Ljod – Das Eis – Die Trilogie“ ein ehrgeiziger und großer, bildstarker und eigensinniger Theaterspaß, den neun Schauspieler*innen hervorragend stemmen.“

nachtkritik.de, 26. April 2019

 

Die Frankfurter Neue Presse bezeichnet den Abend als „anarchistischen Parforce-Ritt.“: „Vladimir Sorokins „Eis-Trilogie“ gelingt am Staatstheater Mainz als drastischer, furioser Bühnenmarathon. (…) Jan-Christoph Gockel hat die kruden Sektenmitglieder mit viel Drive auf die Bühne des Kleinen Hauses am Staatstheater Mainz geschickt und aus Sorokins Trilogie sechs Folgen geschneidert.“

Frankfurter Neue Presse, 03. Mai 2019

 

„Im Verlauf von fünf Stunden kommt nämlich so einiges Wahnsitziges auf die Bühne: Vom Nazi-Ballett in SS-Uniform über krude Verschwörungstheorien und halb nackte Herzverschmelzungsorgien bis hin zur Nonstopverkaufssendung für Sets aus „Ljod Company“-Meteoriten-Eis. Das soll aber keine Warnung sein. Denn obwohl Sorokin – der eigens zur Premiere angereist war – und Gockel es einem nicht leicht machen, eine durchgängige Interpretation für das Treiben zu finden, ist es doch evokativ, oft auch mitreißend oder witzig. Und auch dieses Gockelsche Mammutprojekt – (…) ja fast schon ein Genre in sich selbst – besticht durch Ideenreichtum und ein spielfreudiges Ensemble.“

Allgemeine Zeitung, 29. April 2019

 

„Eine Eishammer-Horrorshow“

Frankfurter Rundschau, 02. Mai 2019

 

„Mutig und reizvoll.“, nennt die FAZ Rhein-Main (30. April 2019) den Abend. „Das ist, in all seiner Brutalität, auch Satire. Ein Versuch, den Irrsinn der Menschheitsgeschichte in einer noch irreren Story, einer Mischung aus Science-Fiction, Schnulze, Thriller und Parodie zu bergen. So ist das in Vladimir Sorokins Roman „Ljod – Das Eis“ aus dem Jahr 2002 und noch mehr, wenn Hausregisseur Jan-Christoph Gockel jetzt am Staatstheater Mainz die Ganoven und Prostituierten, die Internettrolle und was da so kreucht Mutmaßungen darüber anstellen lässt, wer eigentlich diese „Icehammervictims“ in Serie herstellt. (…) Tragödie und Komödie, beide grell gezeichnet, liegen eng beieinander. So bleibt man bei der Stange. (…) Gockel hat ein Händchen dafür, ein Mixed-Media-Werk aus Live-Video, Fernsehformaten, wabernder serientauglicher Musik (Matthias Grübel), Songs, Hörspieleinspielern, Livezeichnungen (Seda Demiriz) und einem klugen Container-Bühnenbild (Julia Kurzweg) zu schaffen, ohne die Fäden zu verlieren. Sein großartiges Ensemble wechselt die Spielweisen und Haltungen und ist immer für einen, bisweilen auch deplatzierten, Gag gut. So wandert die blutig-bunte Mischung durch die europäische Geschichte. (..) Draußen auf dem Theaterplatz gibt es in der Pause zwar Borschtsch, aber keinen Wodka. Schier besoffen von den Bildern ist man am Ende trotzdem. Schon das allein ist eine Kunst. Dem extra angereisten Vladimir Sorokin hat es offenbar auch gefallen.“

FAZ Rhein-Main, 30.04.2019