„Mir gefällt der Titel nicht“, sagt Smockey zu DIE REVOLUTION FRISST IHRE KINDER! Ich antworte, dass das ein Büchner-Zitat sei. Smockey: „Es ist kannibalistisch. Warum frisst die Revolution uns, ihre Kinder, auf? Ist das eine Erzählung, die wir in dieser Zeit brauchen?“
Welche Erzählung braucht unsere Zeit? Eigentlich sind wir mit einer Geschichte eines europäischen Scheiterns unterwegs: Eine Theaterregisseurin (Julia Gräfner) gerät mit ihrem Ensemble in den burkinischen Volksaufstand von 2014, verklärt das zu „ihrer“ Revolution und geht vor die Hunde.
Smockey tritt im Interview all denen entgegen, die sagen, dass die Revolution von 2014 gescheitert sei, weil sich für die Menschen ökonomisch noch nichts wesentlich verbessert hat. Er hebt die verbesserte Menschenrechtslage hervor, die Meinungsfreiheit und die Sehnsucht, die Verbrechen, die während der Diktatur von Blaise Compaoré geschahen, aufzuklären. Er sagt auch: „Wir müssen weiterkämpfen und uns nicht nach getaner Arbeit (der Absetzung von Compaoré) zurückziehen und hoffen, dass „die Politik“ schon alles lösen wird.“
Felwine Sarr aus dem Senegal betrachtet das ähnlich und schreibt in seinem Buch AFROTOPIA vom Bild, das Afrika von sich selbst entwickeln soll, das sich nicht aus der Opferrolle der Kolonialzeit speist. Auch in seinem Monolog TRACES, gelesen von Etienne Minoungou, sucht Sarr eine afrikanische Utopie.
Ist es Zeit, die sich immer wiederholenden Geschichten von Unterwerfung, Ausbeutung und Scheitern zu durchbrechen, diese Abfuck-Geschichten, die in unserer Kulturlandschaft so hoch im Kurs stehen? Im deutschsprachigen Stadt- und Staatstheater scheint oft zu gelten: je kaputter, je sinnloser, desto besser. Wer eine Utopie formuliert, gilt schnell als naiv. Dem traten die Kolleg*innen aus Burkina Faso und dem Senegal entgegen.
Wir entscheiden uns, den Titel innerhalb des Films zu verändern. Wilfried de Paul geht gleich ans Werk: DIE REVOLUTION SIEHT IHRE KINDER!
– Jan-Christoph Gockel