Gewinner des Nestroy-Theaterpreises 2017

Der Auftrag: Dantons Tod

Mit Julia Gräfner, Florian Köhler, Raphael Muff, Michael Pietsch, Evamaria Salcher, Komi Mizrajim Togbonou | Regie: Jan-Christoph Gockel | Bühne: Julia Kurzweg | Kostüme: Sophie du Vinage | Puppenbau: Michael Pietsch | Musik: Komi Mizrajim Togbonou | Dramaturgie: Elisabeth Geyer |  Fotos: Lupi Spuma | Premiere: 03.03.2017 |



„Tausend Jahre ist gelacht worden über unsre drei Geliebten. In allen Gossen haben sie sich gewälzt, alle Rinnsteine der Welt sind sie hinabgeschwommen, geschleift durch alle Bordelle, unsre Hure die Freiheit, unsre Hure die Gleichheit, unsre Hure die Brüderlichkeit.“
Heiner Müller

Demokratie, allgemeine Rechtsgleichheit, Religions- und Meinungsfreiheit, Volkssouveränität und Gewaltenteilung: Die Französische Revolution ist eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte der europäischen Neuzeit. Georg Büchner und Heiner Müller haben jeweils ein Stück darüber geschrieben: Büchner stellt Danton und Robespierre einander gegenüber und formuliert damit die Frage, welcher Weg der richtige sei, um revolutionäre Ideen in einen Alltag zu überführen. Heiner Müllers DER AUFTRAG ist die Geschichte dreier Emissäre des französischen Konvents, die den Auftrag erhalten, die Befreiung der Sklaven in der britischen Kolonie Jamaika voranzutreiben. Sie sollen das Feuer der Revolution weitertragen. Als sich jedoch herausstellt, dass zu Hause längst Napoleon an der Macht ist, suchen die im Stich gelassenen Männer den Ausweg im Verrat, im Tod, in der Depression.

In DER AUFTRAG: DANTONS TOD werden die beiden Stücke verknüpft: Heiner Müllers DER AUFTRAG wird zur Rahmenhandlung – gezeigt als Theatergastspiel von DANTONS TOD in Jamaika. Letzteres Stück wird mit den „am Draht gezogenen Puppen“ im Puppentheater erzählt. Im Laufe des Abends verschmelzen die beiden Ebenen immer mehr, die Ideen Robespierres und Dantons treten aus dem Kosmos des Puppentheaters heraus und greifen auf die anderen Figuren über.

Neue Termine folgen.

Gewinner des Nestroy-Theaterpreises 2017 in der Kategorie BESTE BUNDESLÄNDERAUFFÜHRUNG

„Regisseur Jan-Christoph Gockel sorgt mit seinem kongenialen Bruder im Geiste, dem Puppenspieler Michael Pietsch, für ein multimediales, anarchisches Treiben fernab aller Theaterkonventionen, er zeigt einen zuweilen gespenstischen Toten- und Puppentanz rund um die Französische Revolution, mit einem hervorragenden Ziel: zu belegen, wie das vermeintlich Dynamische dem Dämonischen weicht, ehe es vollends ins Damische kippt. Eine Schande wäre es, dieses virtuose Glanzstück nicht zu sehen.“
Kleine Zeitung, Werner Krause, 05.03.2017

„So kann und soll Theater heute sein!“
Kronen Zeitung, Michaela Reichart, 05.03.2017

„Die Engführung der beiden Werke zur Revolution eröffnet neue Perspektiven auf den jeweiligen Text und lenkt den Blick dadurch gleich weiter zu historischen und aktuellen Parallelen. Gockels dramatische Montage ist Einladung zur Assoziation.“
Theater der Zeit, Auftritt, Hermann Götz, April 2017

"Die Verknüpfung zweier intellektueller Thesendramen könnte ein anstrengendes Unterfangen sein. Doch Jan-Christoph Gockel ist es bravourös gelungen, zwei politische Dramen in sinnliche Unterhaltung zu verpacken. Die „Weltverbesserer“ aus Europa preschen laut und vulgär im Jeep auf die Bühne, um auf Jamaika die Demokratie einzuführen. Die Verquickung von Heiner Müller und Georg Büchner ist angelegt, weil Müller Szenen aus „Dantons Tod“ zitiert, die hier als phantastisches Puppenspiel ausgeweitet sind. In beiden Stücken soll ein politischer Auftrag erfüllt werden, in beiden Fällen scheitert er durch Verrat an den revolutionären Idealen. Wie Danton sich von Robespierre absetzt, springt auch Debuisson, die Hauptfigur bei Müller, von dem hehren Auftrag ab und verfällt wieder in sein altes Muster als despotischer Plantagenbesitzer. Die Besetzung mit einer Frau, der umwerfenden Julia Gräfner, nimmt dem Machismus die Spitze und rückt das Entsetzen über die Unverbesserlichkeit der Menschen in ein komödiantisches Licht."
Eva Maria Klinger
Nestroy, Jurybegründung

Hintergrund

Aus „Georg Büchner – das literarische Werk“, Christian Neuhuber

„der dramatische Dichter ist in meinen Augen nichts, als ein Geschichtsschreiber, steht aber ÜBER Letzterem dadurch, daß er uns die Geschichte zum zweiten Mal erschafft und uns gleich unmittelbar, statt eine trockene Erzählung zu geben, in das Leben einer Zeit hineinversetzt, uns statt Charakteristiken Charaktere, und statt Beschreibungen Gestalten gibt. Seine höchste Aufgabe ist, der Geschichte, wie sie sich wirklich begeben, so nahe als möglich zu kommen.“ Georg Büchner

Büchner modifiziert hier einen berühmten Vergleich der Disziplinen, mit dem Aristoteles in seiner „Poetik“ den Status literarischer Wirklichkeitsabbildung aufwertete, da sie die zugrunde liegenden, wesentlichen Strukturen herausarbeiten kann. Aufgabe der Dichtung ist es demnach, Wirklichkeit nicht als direktes Abbild kopieren zu wollen, sondern im Rahmen der Wahrscheinlichkeit selbstständig zu gestalten. In der so entstandenen möglichen Welt werden lebensweltliche Zusammenhänge aus dem besonderen in einen allgemeinen Fall überführt, in dem das Eigentliche deutlicher sichtbar wird. (…) Aufgabe des Rezipienten ist es, dieses Eigentliche zu erkennen und auf seine Wirklichkeit zu übertragen. Der Geschichte „so nahe als möglich zu kommen“, bedeutet für Büchner die Profilierung der ideologischen und gesellschaftlichen Positionen, auch wenn dabei Quellen gegen die eigentliche Intention montiert werden, es bedeutet die Konzentration, Montage und Dekonstruktion des historiographischen Materials und seine Anreicherung und Überformung mit „möglichen“ Elementen einer sinnträchtigen Vergangenheit.