„Wir Schwarzen müssen zusammenhalten“ – Eine Erwiderung

VERÖFFENTLICHT AM: März 16, 2021
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Internationale Stückentwicklung im togoisch-deutschen Autor*innenkollektiv. Ein Projekt an den Münchner Kammerspielen in der Regie von Jan-Christoph Gockel

Von Christoph Leibold, März 2021

Diesen Ausspruch muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: „Wir Schwarzen müssen zusammenhalten!“ Sein Urheber, der mit hemdsärmeliger Gerissenheit und einer gehörigen Portion Skrupellosigkeit regierende frühere bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß, suchte damit den Schulterschluss mit Gnassingbé Eyadéma – zu Strauß‘ Lebzeiten (und lang über dessen Tod hinaus) Gewaltherrscher über Togo. Die Duzfreundschaft mit einem Diktator aus Westafrika ist an sich schon dubios. Mindestens so fragwürdig sind der Rassismus und Zynismus, die diesem Zitat innewohnen, das manche gleichwohl bis heute für ein durchaus pfiffiges Strauß-Bonmot halten. Dass der Satz ohne die Kenntnis der politischen Farbenlehre in Deutschland nicht zu verstehen ist, dürfte das geringste Problem sein. Weitaus schwerer wiegt, wie darin – in bewusster Ignoranz gegenüber der deutsch-togolesischen Geschichte – eine Art Augenhöhe zwischen beiden Ländern unterstellt wird, um die realen Machtverhältnisse zu verschleiern. Von 1884 bis 1916 war Togo deutsche Kolonie, ja galt sogar als „Musterkolonie“, was schlichtweg bedeutete, dass die Ausbeutungsmechanismen besonders reibungslos funktionierten. Franz Josef Strauß versuchte seinerseits ein Maximum an Profit für Bayern aus seiner Togo-Connection herauszuholen. Das Fleischereiunternehmen Marox des Rosenheimer Strauß-Intimus Josef März zum Beispiel machte in Togo gute Geschäfte. Strauß selbst reiste in den 1970er und 1980er etliche Male nach Togo, ging gern auf Antilopen-Jagd und feierte 1984 100 Jahre deutsch-togolesische „Freundschaft“. Noch so eine unverfrorene Beschönigung der wahren Verhältnisse.

„Wir Schwarzen müssen zusammenhalten!“ Dieser Satz kann so also nicht unwidersprochen stehenbleiben – und scheint gerade deshalb als Titel über einer Stückentwicklung der Münchner Kammerspiele in Zusammenarbeit mit dem Goethe Institut zu stehen, ergänzt freilich um einen wichtigen Untertitel: „Eine Erwiderung“.

Begegnung auf Augenhöhe

Regie führt Jan-Christoph Gockel, seit Beginn der Spielzeit 2020/21 Hausregisseur an den Kammerspielen und zudem afrikaerfahren dank verschiedener vorangegangener Projekte, etwa dem in Burkina Faso gedrehten Theater-Film „Die Revolution frisst ihre Kinder!“, der Georg Büchners Revolutionsdrama „Dantons Tod“ mit den Unabhängigkeitskämpfen afrikanischer Länder kurzschloss. Mit dabei schon damals der Schauspieler Komi Togbonou, der nun auch die Idee zum Togo-Projekt hatte. Togbonous Vater stammte von dort, seine Mutter aus dem Kongo. Er selbst wurde in Deutschland geboren, erzählt aber, dass er bereits als Kind regelmäßig miterlebt habe, wie sich seine Eltern über die Kolonialzeit unterhalten hätten: „Das war ziemlich präsent in meiner Familie, so wie es überhaupt in Togo noch immer Thema ist, während sich hier in Deutschland die wenigsten dieses Kapitels der Geschichte bewusst sind. Diese Unwissenheit hat natürlich etwas mit den postkolonialen Strukturen zu tun, die dringend aufgeklärt werden müssen.“

Die „Erwiderung“ auf das titelgebende Strauß-Zitat ist folglich der Versuch, eine Begegnung auf Augenhöhe zu etablieren – ohne die deplatzierte Überheblichkeit der Industrienationen. Nicht selten herrscht dort der Irrglaube vor, aus etwaigen ökonomischen Defizite so genannter Entwicklungsländern auf deren generelle Rückständigkeit schließen zu können. Auch der Kulturaustausch ist (und war vor allem lange Zeit) nicht frei von Anwandlungen des Paternalismus, Kunst-Imperialismus inklusive. So wurden und werden beispielweise, was das Theater betrifft, bis heute Vorzeige-Inszenierungen in alle Welt verschickt, die von der Potenz des deutschen Regietheaters zeugen sollen. Grundsätzlich ist gegen die Ausfuhr von Kulturgütern durch die Exportnation Deutschland nichts einzuwenden. Zweifelsohne ist sie dem Außenhandel mit Waffen vorzuziehen. Gleichwohl hat sich seit einiger Zeit die Erkenntnis durchgesetzt, dass kulturelle Verständigung keine Einbahnstraße sein sollte. Auch beim Austausch von Gedankengut kommt es auf Dauer auf eine ausgeglichene „Handelsbilanz“ der beteiligten Länder an. Oder wie es Komi Togbonou formuliert: „Als Künstler haben wir die Aufgabe, Brücken zu bauen – in beide Richtungen, um uns dann in der Mitte zu treffen!“

„Wir Schwarzen müssen zusammenhalten“ ist denn auch als sich vorsichtig vorantastende Suchbewegung inszeniert. Jan-Christoph Gockel und sein Team wollen nicht Botschaften senden, sondern haben ihre Antennen auf Empfang gestellt. Das Stück beginnt in den Ruinen der einstigen togolesischen Funkstation Kamina, an der die deutsche Reichsregierung drei Jahre lang bauen ließ, ehe der Stützpunkt nach nur wenigen Wochen des Betriebs zu Beginn des ersten Weltkriegs wieder zerstört wurde.

Geschichte vergegenwärtigen

Hier landet Schauspielerin Nancy Mensah-Offei als Afroastronautin mit illuminiertem Glaskugelhelm auf dem Kopf, folkloristisch gemustertem Space-Overall und einer Neonröhre als Leuchtschwert in der Hand und begegnet einem deutschen Funker aus dem Kaiserreich (Komi Togbonou). Sie empfängt Signale aus allen Zeitschichten und begibt sich im Folgenden auf eine als Doku-Fiktion inszenierte Recherchereise durch Togos Gegenwart und Geschichte sowie die Spuren der deutschen Kolonialherren samt deren späten Erben: dem Fleischfabrikanten März (gespielt von Martin Weigel) und dem politischen Strippenzieher Strauß, der hier, schöne Ironie, in Gestalt einer Marionette des Puppenspielers Michael Pietsch selbst an Fäden zappelt.
Das Szenario hat etwas retro-futuristisches. In Gockels Inszenierung überlagern sich die Ebenen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das Wort „Zeitreise“ vermeidet der Regisseur aber. Ihm geht es darum, das gestern ins heute zu holen und dabei ins Auge zu fassen, was morgen wird. Gockel will weder „an der Gegenwart kleben“ noch dem Publikum eine Geschichtsstunde erteilen. Das Gestern dient hier als Blaupause für das Heute. Den Marox-Konzern etwa kenne inzwischen kaum noch jemand, sagt Gockel, „aber an dessen Gebaren werden auch heutige Handelspraktiken kenntlich.“

Überhaupt stellt sich die Frage: Wo stehen wir heute? Das Bewusstsein für strukturellen Rassismus, der in der Kolonialgeschichte wurzelt, mag zwar gewachsen sein. Dennoch prägen Diskriminierungserfahrungen noch immer den Alltag von People of Colour. Wäre es anders, bräuchte es zum Beispiel keine Black Lives Matter-Bewegung. Aus derlei Zusammenhängen erwächst Jan Christoph Gockels Antrieb, Geschichte zu vergegenwärtigen. Dazu bedarf es einer kollektiven Anstrengung.

„Wir Schwarzen müssen zusammenhalten. Eine Erwiderung“ ist in der Autorenschaft vieler entstanden. Dialoge, die der Improvisation im Ensemble entsprungen sind, stehen neben Strauß-Original-Zitaten und Archivfunden, aber auch Texten des togolesischen Autors Emawusi Agbédjidji, der bereits im November 2020 zu einem Arbeitsbesuch nach Deutschland gekommen war. Die Zusammenarbeit mit Agbédjidji war entschieden mehr als ein Nice-To-Have. Sie ist essentiell für das ganze Projekt, denn sich mit Togo zu beschäftigen, ohne afrikanische Positionen einzubeziehen, verbot sich für Jan-Christoph Gockel und sein Team von selbst. Der eurozentristische Blick braucht dringend das Korrektiv durch andere Sichtweisen. Gerade bei einem so heiklen Thema wie dem Kolonialismus, findet auch Emawusi Agbedjidji: „Ich möchte einen Raum zur Reflexion öffnen, der es dem Publikum erlaubt, keine einseitige Botschaft wahrzunehmen, sondern einen eigenen vielschichtigen Standpunkt zu entwickeln.“

Analoge Reise und digitale Begegnung

Die Zusammenarbeit mit Agbédjidji, betont Dramaturgin Olivia Ebert, habe sich auch nach dessen Abreise intensiv gestaltet, „fast so, als wäre er dauerhaft hier bei uns gewesen.“ Aber eben doch nur „fast“. Im Februar 2021 flog daher ein achtköpfige Kammerspiele-Delegation (Regie, Dramaturgie, Ensemble, Kameramann) für zwei Wochen nach Togo (das heute übrigens von Faure Gnassingbé, dem Sohn des früheren Diktators, autokratisch regiert wird) in die Hauptstadt Lomé. Dort wurden Spielszenen und auch Interviews gedreht, die als Videoeinspielungen Teil der Theaterinszenierung werden. Auch Comicbilder des togolesischen Illustrators und Kinderbuchautors Paulin Assem werden auf diese Weise in die Produktion integriert, sowie Live-Schaltungen nach Lomé zur togolesischen Schauspielerin Jeannine Dissirama Bessoga, die unter anderem eine Art Willkommensgruß aus Togo als Prolog beisteuern wird.

Die Möglichkeiten digitaler Vernetzung über Kontinente hinweg öffnen Chancen für die Verständigung jenseits persönlicher Begegnungen im Realen, ganz ohne größere Gefahren. Die Reise der Kammerspieler-Truppe nach Togo unter pandemischen Bedingungen indes war nicht ohne Risiko. Doch nicht erst seit Corona stehen solche Ausflüge unter kritischem Vorbehalt. Auch für den Kulturaustausch stellt sich die Gretchenfrage: Wie hältst Du es mit der Nachhaltigkeit? Wie viele Flugmeilen sind vertretbar?

Ein klassischer Zielkonflikt tut sich auf: Was wiegt höher: Der völkerverständigende internationale (Kultur-)Austausch? Oder der Klimaschutz? Sorgfältiges Abwägen tut Not. Darin sind sich alle Beteiligten an diesem Projekt einig.
Aber: Mit der Recherche aus der Ferne komme man doch nur bedingt weit. Eine Videokonferenz, gibt Emawusi Agbédjidji zu bedenken, gehe vielleicht ein, zwei Stunden. „Das physische Treffen dauerte jeweils den ganzen Tag, mit Pausen, mit gemeinsamem Essen, mit Momenten von Geselligkeit, dazwischen Zeit zu arbeiten, was einen ausführlichen Austausch ermöglicht und die inhaltlichen und menschlichen Fäden noch einmal ganz anders miteinander verbindet.“ Edem Attiogbé, der Leiter des Goethe-Instituts im Lomé, nennt solche Begegnung so einfach wie einleuchtend den „natürlicheren Kontakt“ und schlussfolgert: „Der Austausch in der realen Welt ist unersetzbar.“

Was die Reise der Kammerspiele-Abordnung nach Togo angeht, so sei das außerdem auch ein Signal gewesen, „zu zeigen, dass wir es ernst meinen mit dem Austausch“, bekräftigt Olivia Ebert. Reisen birgt Strapazen. Sie auf sich zu nehmen, zeugt von ehrlichem, echtem Interesse.

„Natürlich würden die meisten von uns sagen, dass sie keine Rassisten sind“ sagt Regisseur Jan-Christoph Gockel, die Erfahrung aus früheren Projekten aber hat ihn gelehrt: „Wenn man sich als überwiegend weißes Produktions-Team auf die Reise begibt, macht man mit dem ersten Schritt, den man vor die Tür setzt, meistens auch schon den ersten Fehler.“ Man müsse diese Fehler aber machen, um sich der eigenen Prägungen und Privilegien bewusst zu werden. Olivia Ebert ergänzt aber auch: „Wenn man sich einmal getroffen hat im Realen, dann ist fast alles Weitere im Digitalen möglich. Umgekehrt ist es ungleich schwerer.“

Theaterpremiere Live – zunächst im Film

Bei der Premiere am 20. März 2021 wird es ohne das Digitale ohnehin nicht gehen. „Wir Schwarzen müssen zusammenhalten! Eine Erwiderung“ wird zwar so geprobt, dass der Abend nach dem Lockdown an den Münchner Kammerspielen vor Publikum gespielt werden kann. Ein Kameramann aber wird alles, was auf der Bühne geschieht, filmen. Seine Aufnahmen werden dann auf eine Leinwand projiziert und dort mit den vorproduzierten Spiel- und Interviewszenen aus Lomé (etwa mit einem togolesischen Germanisten, der sich intensiv mit der Kolonialgeschichte befasst hat), den Comic-Sequenzen sowie den Zuschaltungen aus Togo zusammengeschnitten. So entsteht eine Art Theater-Live-Film. Das Publikum in den Kammerspielen wird, wenn es das Haus wieder besuchen darf, außer diesem Film auf der Leinwand auch noch einen Teil des Making-Ofs parallel zu den Videobildern als Theaterspiel auf der Bühne erleben. Das aber ist noch Zukunftsmusik: Weil die Theater nach wie vor geschlossen sind, geht vorerst nur das Leinwand-Filmbild als Livestream hinaus in die Welt. Der Vorteil: So kann nicht nur das deutsche Publikum trotz Lockdown Theater erleben. Auch in Togo wird „Wir Schwarzen müssen zusammenhalten. Eine Erwiderung“ auf diese Weise zu sehen sein. Die Flugmeilen für ein Gastspiel der Produktion in Afrika lassen sich so einsparen. Sinnvoller im Sinne des wechselseitigen Austausches, glaubt Jan-Christoph Gockel, wäre es ohnehin, wenn stattdessen beim nächsten Mal Künstlerinnen und Künstler aus Togo nach Deutschland kommen. Solche Reisen, ist Gockel überzeugt, bringen mehr Nutzen als Schaden. Nur die Straußens dieser Welt, die es immer noch gibt, sollen bleiben, wo sie sind. „Wir Schwarzen müssen zusammenhalten?“ Von wegen. In einem rotzigen Rap macht „Afronautin“ Nancy Mensah-Offei im Stück die Politiker-Marionette zur Schnecke: „Geh nach Hause, Straußi-Strauß!“

Christoph Leibold (geb. 1969 in München) ist Kulturjournalist und Theaterkritiker. Er arbeitet vor allem für Bayern2 (BR), außerdem für DLF Kultur, SWR 2 sowie für das Fachmagazin „Theater der Zeit“. Er ist Moderator u.a. des Hörfunk-Feuilleton-Magazins kulturWelt (Bayern2), Autor von Kulturfeatures und Mitglied in diversen Theaterjurys, u.a. für das Berliner Theatertreffen (2012-2014), den Bayerischen Kunstförderpreis (seit 2011), sowie den Theaterpreis der Stadt München (2017 und 2020).