Mit Matthias Reichwald und zehn Kinder | Regie: Jan-Christoph Gockel | Bühne: Julia Kurzweg | Kostüme: Sophie du Vinage | Musik / Hörspiel: Matthias Grübel | Dramaturgie: Julia Weinreich | Fotos: Sebastian Hoppe | Premiere: 22.11.2017 |
„Dass wir wieder werden wie die Kinder, ist eine unerfüllbare und bleibt eine ideale Forderung. Aber wir können zu verhüten suchen, dass die Kinder werden wie wir.“
Erich Kästner
Erich Kästner ist einer der bekanntesten deutschen Autoren für Kinder- und Jugendbuchliteratur. Mit EMIL UND DIE DETEKTIVE revolutionierte er 1928 die Kinderbuchliteratur. Während der Weimarer Republik machte er sich schnell als Redakteur und Drehbuchautor einen Namen und prägte mit seiner unverschnörkelten, klaren Sprache eine ganze Epoche: die Neue Sachlichkeit. Die Nationalsozialisten verbrannten 1933 seine Bücher und erteilten ihm Schreibverbot. Trotzdem entschied er sich gegen eine Emigration, veröffentlichte unter Pseudonym und wurde einer der bekanntesten deutschen Schriftsteller des vergangenen Jahrhunderts. Mehr noch: Er wurde zur moralischen Instanz der Nachkriegszeit und haderte dennoch bis zu seinem Tod damit, sich für Deutschland und nicht für das Exil entschieden zu haben.
PAROLE KÄSTNER! nähert sich Erich Kästner über seine Erzählungen, seine Biographie, die Umstände seiner Zeit und autobiographische Aufzeichnungen. Dabei hat Kästner zu Lebzeiten viel getan sich hinter seinen Selbstdarstellungen mehr zu verstecken als zu offenbaren. Kästner spielte zeitlebens viele Rollen: den Filou, der sich hinter der Maske des Spießers versteckt und mit seiner Mutter seine Affären bespricht. Kästner, der dabei zusieht, wie seine eigenen Bücher von den Nationalsozialisten verbrannt werden, will Chronist des Nationalsozialismus sein, schreibt das anvisierte Buch allerdings nie. Er gibt Kindern in seinen Büchern wie kaum jemand anderes eine eigene Stimme, selbst kann er eigentlich nicht mit Kindern. PAROLE KÄSTNER! bringt den Sohn der Stadt in Dresden auf die Bühne.
Neue Termine folgen.
„Das ist rundum großartig gespielt, zeigt, wie eng und bewusst, wie fantasievoll alle miteinander gearbeitet haben. An diesem Abend kann man staunen und sich wundern, wird irritiert, berührt, verführt. Von den Kindern ebenso wie von Matthias Reichwald.“Dresdner Neueste Nachrichten, 28.11.2017
„Regisseur Jan-Christoph Gockel tut das einzig Richtige. Sein eigenes, mit Originaltexten durchsetztes Stück ‚Parole Kästner!‘ will keine schlüssige Antwort geben. Im Spannungsfeld aus heiteren und tragischen Linien entsteht das Bild einer Persönlichkeit voller Risse.
Sächsische Zeitung, 05.12.2017
„Die Entscheidung, außer Reichwald alle Rollen mit Kindern zu besetzen, erweist sich als Volltreffer. Sie spielen erstaunlich souverän und sorgen beim Figurieren zentraler Momente im Leben des Erich Kästner für jene tragische Komik, ohne die dieser Mensch nicht zu verstehen wäre."
neues deutschland, Christian Baron, 29.11.2017
Hintergrund
Aus „Bildet Banden!“, Julia Weinreich
Wer ist dieser vielseitige Autor wirklich? Ein paar Stationen seiner Biografie: In ALS ICH EIN KLEINER JUNGE WAR erzählt er, dass er am 13. Februar 1899 in der Dresdner Neustadt geboren, dass er ein Einserschüler und ein Theaterliebhaber ist. Wir wissen, dass ihm Weihnachten ein Graus war, weil Mutter und Vater gegenseitig um die Gunst des Jungen buhlen und Erich sich im „Pendelverkehr“ freuen muss: Ich freue mich zur Freude meiner Mutter / Ich freue mich zur Linken meines Vaters / Und damit wurde meine ehrliche Freude Lüge. Und wir wissen, dass der kleine Erich unbedingt Lehrer werden wollte. Es kam anders: Als der 1. Weltkrieg 1914 ausbricht, ist Erich Kästner 15 Jahre alt. Der 1. Weltkrieg hat begonnen, und meine Kindheit war zu Ende. Als Rekrut ist er ein Musterknabe, und seine Anpassungsfähigkeit kaum zu überbieten; an die Front muss er nicht. Gedemütigt wird er von einem Vorgesetzten. Später wird er über ihn das Gedicht SERGEANT WAURICH schreiben.
Das deutsche Kaiserreich geht im November 1918 zu Grunde. Erich Kästner besucht das Lehrerseminar, und schnell wird klar: Lehrer wird er nicht. Stattdessen nimmt er ein Studium der Germanistik, Philosophie, Geschichte, Zeitungskunde und Theaterwissenschaft auf, bis er mit 25 als promovierter Redakteur bei der Neuen Leipziger Zeitung anfängt. An die Mutter schreibt er täglich – ein willkommenes Mittel, um sie von sich fern zu halten und zu vermeiden, dass sie ihn besuchen kommt. In Kästner vollzieht sich ein Wandel: Der einstige Musterknabe wird aufsässig, frech, und er wird erotisch. Zumindest seine Lyrik wird es. Ausgerechnet seine ersten erotischen Gedichte sind es auch, die später Auslöser für das Schreibverbot durch die Nationalsozialisten werden und ihn zwölf Jahre lang zum Schweigen zwingen. Seine neue Aufmüpfigkeit kostet ihn 1927 die Stelle, und er zieht nach Berlin, wo er für das Berliner Tageblatt, den Simplicissimus und Die Weltbühne schreibt und in einen wahren Schaffensrausch gerät. Mit Raffinesse bedient er sämtliche ihm zur Verfügung stehende Medien in der für ihn typischen dokumentierenden und ironischen Art und Weise. Die 1930er Jahre, die von umstürzlerischen rechten und linken Kampftruppen auf Berlins Straßen und antisemitischer Hetze in den Zeitungsblättern geprägt sind, erlebt er hautnah mit. Er selbst wirft sich in das wilde Treiben des Berliner Nachtlebens und schreibt 1931 auf dem Höhepunkt seiner Karriere FABIAN – es wird ein Bestseller. Bereits zwei Jahre später wird dieses Buch neben den Gedichtbänden bei der von den Nationalsozialisten organisierten Bücherverbrennung in Flammen aufgehen. Erich Kästner ist anwesend, als Goebbels am 10. Mai 1933 die Studentenschaft auf seine „Blut-und-Boden“-Ideologie einschwört und davon spricht, die eigenen Regale nach „zersetzendem Schrifttum“ zu durchforsten und zu „säubern“. Er schreibt:
Warum habe ich auf dem Opernplatz nicht widersprochen? Hätte ich nicht zurückschreien sollen? Zurückschreien, als sie meinen Namen brüllten. Ich stand da, mir war unbehaglich, und es geschah nichts. Ich hatte mich nur geekelt. Ich war passiv geblieben. Ich hatte angesichts des Scheiterhaufens nicht aufgeschrien. Ich hatte nicht mit der Faust gedroht. Ich hatte sie nur in der Tasche geballt. Warum erzähle ich das? Warum mische ich mich unter die Bekenner? Weil, immer wenn von der Vergangenheit gesprochen wird, auch von der Zukunft die Rede ist. Weil keiner unter uns und überhaupt niemand die Mutfrage beantworten kann, bevor die Zumutung an ihn herantritt. Keiner weiß, ob er aus dem Stoffe gemacht ist, aus dem der entscheidende Augenblick Helden formt. Kein Volk und keine Elite darf die Hände in den Schoß legen und darauf hoffen, dass im Ernstfall, im ernstesten Falle genügend Helden zur Stelle sein würden.
Mit dem Verbot von EMIL UND DIE DETEKTIVE 1936 durch die Reichsschrifttumskammer zieht sich Erich Kästner immer mehr zurück, geht in die innere Emigration und kann kaum noch an frühere Erfolge seiner Schriftstellertätigkeit anknüpfen. Einen Wunsch hat er aber noch: Er will den Roman über den Krieg schreiben. Deshalb beginnt er 1941 mit einem Kriegstagebuch: Das Tagebuch bleibt unvollendet, der Roman ungeschrieben. Seine Skepsis bezüglich der Wirkungslosigkeit der Literatur, der Unfähigkeit der Menschen, aus der Geschichte zu lernen, wird im Laufe der Zeit immer größer. Von Goebbels bekommt er noch eine Sondergenehmigung zum Drehbuch von MÜNCHHAUSEN, doch als Hitler erfährt, dass Kästner hinter dem Pseudonym Bertolt Bürger steht, verhängt er ein Generalverbot über ihn. Zwölf Jahre lang hatte Kästner unter seinem Namen in Deutschland nicht veröffentlichen dürfen. In Berlin ausgebombt, zieht er nach dem Krieg nach München, wo er Leiter der Feuilletonredaktion der Neuen Zeitung wird. Über die Einflusslosigkeit der Literatur macht er sich keine Illusionen mehr: Ihr seid das Volk, das nie auf seine Dichter hört. Trotzdem kämpft er unermüdlich für die schonungslose Aufklärung der NS-Verbrechen, hilft bei der Umgestaltung Deutschlands von einer Diktatur zu einer Demokratie mit und setzt sich vehement für die Abschaffung des Militärs und die Abrüstung ein. 1951 wird er Präsident des westdeutsche P.E.N.-Clubs. In der Öffentlichkeit des Nachkriegsdeutschlands wird er als moralische Instanz wahrgenommen, innerlich findet er allerdings kaum noch Halt: Wäre er nicht besser doch ins Exil gegangen? Hatte er sich verschätzt mit seiner politischen Einschätzung, dass der Spuk schnell vorübergehen würde? – Hierzu gibt es wohl keine abschließende Antwort. Auch die Literaturwissenschaft kann nur Vermutungen anstellen: Kästner wollte sein Mutter nicht alleine lassen und hat – wie so viele andere – die politische Lage tatsächlich falsch eingeschätzt. Während des Kalten Krieges steht Erich Kästner mit seinem Engagement als P.E.N.-Präsident deutlich auf der Seite des Westens, weshalb er in Dresden zwar noch „Sohn dieser Stadt“ ist, ansonsten aber totgeschwiegen wird.
In einer Rundfunksendung 1959, anlässlich seines 60. Geburtstags, rezitiert Erich Kästner ausgerechnet sein hoffnungslosestes Gedicht – DIE MAULWÜRFE ODER EUER WILLE GESCHEHE – ehe er Mitte der 1960er Jahre literarisch völlig verstummt.
Am 29.Juli 1974 stirbt Erich Kästner schwer krank in München. Wer war Erich Kästner? Dieser Autor entgleitet einem immer wieder. Erich Kästner, so scheint es, versteckt sich hinter der öffentlichen Figur Erich Kästner. Geschickt spielt er mit Vertrautheit – ob bei der Mutter, bei den Kindern, den zahlreichen Liebschaften. Es bleibt eine vermeintliche, äußerliche Vertrautheit. Oft wirkt es, als würde er sich offenbaren, letztlich aber bleibt er hinter seiner Maskierung. Hat er sich eines seiner berühmtesten Gedichte selbst zum Lebensmotto gemacht? Keiner blickt dir hinter das Gesicht / Keiner weiß, wie reich du bist / Und du weißt es manchmal selber nicht.
Aus „Ab und zu eine Sternschnuppe – Kästner als Kind, Kästner und die Kinder“, Sven Hanuschek
Es scheint zwei biographische Möglichkeiten für Autorinnen und Autoren zu geben, die erwiesenermaßen für Kinder schreiben können – entweder sie haben selber Kinder oder einschlägige Berufe, in denen sie ständig mit Kindern umgehen; oder sie haben ihren Zugang zu dem Kind behalten, das sie selber waren, sie wissen noch ganz genau, wie sich das anfühlt, tief drinnen. Sie haben sich selbst als Sechsjährige, als Zehnjährige usw. immer bei sich. Erich Kästner gehört entschieden zur zweiten Abteilung. Als wirklicher Vater war er keine glückliche Figur, vielleicht war er auch zu spät dran mit knapp 60 Jahren. Er hat viele Lesungen für Kinder abgehalten, es gibt ein paar wenige Aufnahmen davon – er wirkt gewollt burschikos, den Kindern zugewandt, fast ein bisschen hölzern. Und auch die wenigen, die ihn als Kind erlebt haben und darüber erzählt haben, waren sich einig: Mit Kindern „konnte“ er nicht.
Das mag erstaunlich klingen für einen Schriftsteller, der vermutlich der populärste und jedenfalls der meistübersetzte deutsche Kinderbuchautor aller Zeiten ist, aber eben: Beim Schreiben kommt es auf die imaginativen Kräfte an, nicht darauf, wie gut oder schlecht man nun mit wirklichen Kindern außerhalb des Papiers sprechen kann. In Kästner haben wir einen Autor, der sein Leben lang über Kindheit und Kinder nachgedacht hat, und der zu Stoffen und Sätzen gelangt ist, die uns bleiben werden; Kästner gehört zu unserer inneren Ausstattung.
Kinder sind, seiner Meinung nach, unschuldig: „Selbstverständlich nicht so, als ob sie Engel zu Fuß wären, sondern weil sie zum Schuldigwerden noch keine Zeit hatten.“ Ihre Direktheit, Offenheit, Neugier, auch – positiv gemeint – Naivität soll sich jede und jeder erhalten und ins Erwachsenenalter hinüberretten; empathisch mit Kästner gesagt: Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch.
Wie Bertolt Brecht gilt auch Erich Kästner manchmal als eine Art Lehrer, ein didaktischer Autor, der den lieben Kinderlein etwas beibringen will. Das halte ich für beide Autoren für grundfalsch; in den größten Pappkartons, die Schriftsteller vor sich hintragen, muss nicht immer etwas drin sein. Es könnte einige Überraschungen geben, was Kästners Bild von Pädagogik und Bildung angeht; gelegentlich vertritt er sogar die problematische Pädagogik von der Ohrfeige im rechten Moment. Er war auch ein Kind seiner Zeit … Er hätte sich aber vermutlich aber ein Erziehen durch Überzeugung gewünscht, nicht durch Drill und Zwang, wie er sie in seinen verschiedenen Kinderkasernen erlebt hat – Kinder wollen ja lernen, sie sind ja neugierig, und die pädagogische Kunst besteht wohl darin, sie dort abzuholen, wo sie gerade in ihrer Entwicklung sind. Kästner hat sich der Autorität der Lehrer und auch seiner Mutter nicht entziehen können, er war immer ein „Musterknabe“ und hat geschrieben, das tue ihm „jetzt noch leid“. Es war ihm wohl klar, dass er seinen eigenen Eltern schnell erwachsen war, er hatte sicher nicht in jeder Hinsicht Glück mit ihnen. Gleichzeitig war er der festen Meinung, dass man in Kindheit und Jugend „Vorbilder“ braucht, wie man „Milch, Brot und Luft“ braucht (und außerdem brauche man frische Mild, frisches Brot und frische Luft). Was wir den Kindern vorleben, ist viel prägender als alles, was wir ihnen erzählen. Kästner war der Ansicht, der Jugend könne nur helfen, wer an den Menschen glaubt. Das ist zu seinen Lebzeiten besonders schwer gewesen, er hat den Ersten und den Zweiten Weltkrieg erlebt, das militaristische Kaiserreich und die Hitler-Diktatur, wo er zusehen musste, wie seine Bücher verbrannt wurden. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen ist es wohl verständlich, dass er schrieb: Daß wir wieder werden wie die Kinder, ist eine unerfüllbare und bleibt eine ideale Forderung. Aber wir können zu verhüten suchen, daß die Kinder werden wie wir.
Bei allem Humor, den Kästners Werke unzweifelhaft haben, war er selbst doch ein eher melancholischer Charakter, vielleicht sogar ein pessimistischer. Es gibt ein Gedicht DIE ENTWICKLUNG DER MENSCHHEIT, das seinen Pessimismus zeigt; in gewisser Hinsicht, meint er da, seien wir immer noch die alten Affen, die früher auf den Bäumen gesessen sind. Dennoch hat er sich als Aufklärer verstanden, wenn er auch von der Erreichbarkeit der Ziele von Aufklärung nur halbwegs überzeugt war, ein „Moralist“, ein „Rationalist“, ein „Urenkel der deutschen Aufklärung, spinnefeind der unechten ‚Tiefe’, die im Lande der Dichter und Denker nie aus der Mode kommt, untertan und zugetan den drei unveräußerlichen Forderungen: nach der Aufrichtigkeit des Empfindens, nach der Klarheit des Denkens und nach der Einfachheit in Wort und Satz.“ Das Ziel jedes angemessenen Umgangs mit Kindern ist danach die oder der kritikfähige Einzelne, die ihre, der seine Gefühle nicht beiseiteschiebt. Die begleitenden Institutionen ebenso wie die Eltern und sonstige Erziehungspersonen sollen den Kindern einen warmen Mantel mitgeben, der sie durch die Welt draußen begleitet – der sie so vortrefflich begleitet, wie das etwa ein Kinderbuch wie EMIL UND DIE DETEKTIVE tut. Oder DAS FLIEGENDE KLASSENZIMMER: Der Kinderroman endet mit einer Sternschnuppe, einer der Schüler des Romans sieht sie – und darf sich etwas wünschen. Familiärer Alltag unter den Anforderungen, die unsere Gesellschaft an uns stellt, hat zu viel mit Routinen und oft zu wenig mit erfreulichen Überraschungen zu tun, und mit wenigstens ein bisschen Wunscherfüllung. Ab und zu eine Sternschnuppe wäre schon schön … Natürlich gibt es Durststrecken; eine der Maximen von Erich Kästner lautet: Resignation ist kein Gesichtspunkt!
Die Maulwürfe oder Euer Wille geschehe (Erich Kästner)
Als sie, krank von den letzten Kriegen,
tief in die Erde hinunterstiegen,
in die Kellerstädte, die drunten liegen,
war noch keinem der Völker klar,
daß es ein Abschied für immer war. (…)
Sie ließen die Wiesen, die Häuser, das Wehr,
den Hügelwind und den Wald und das Meer.
Sie fuhren mit Fahrstühlen in die Grube.
Und die Erde ward wüst und leer.
Drunten in den versunkenen Städten,
versunken, wie einst Vineta versank,
lebten sie weiter, hörten Motetten,
teilten Atome, lasen Gazetten,
lagen in Betten und hielten die Bank.
Ihre Neue Welt glich gekachelten Träumen.
Der Horizont war aus blauem Glas.
Die Angst schlief ein. Und die Menschheit vergaß.
Nur manchmal erzählten die Mütter von Bäumen
und die Märchen vom Veilchen, vom Mond und vom Gras.
Himmel und Erde wurden zur Fabel.
Das Gewesene klang wie ein altes Gedicht.
Man wußte nichts mehr vom Turmbau zu Babel.
man wußte nichts mehr von Kain und Abel.
Und auf die Gräber schien Neonlicht.
Fachleute saßen an blanken, bequemen
Geräten und trieben Spiegelmagie.
An Periskopen hantierten sie
und gaben acht, ob die anderen kämen.
Aber die anderen kamen nie.
Droben zerfielen inzwischen die Städte.
Brücken und Bahnhöfe stürzten ein.
Die Fabriken sahn aus wie verrenkte Skelette.
Die Menschheit hatte die große Wette
verloren, und Pan war wieder allein.
Der Wald rückte näher, überfiel die Ruinen,
stieg durch die Fenster, zertrat die Maschinen,
steckte sich Türme ins grüne Haar,
griff Lokomotiven, spielte mit ihnen
und holte Christus vom Hochaltar.
Nun galten wieder die ewigen Regeln.
Die Gesetzestafeln zerbrach keiner mehr.
Es gehorchten die Rose, der Schnee und der Bär.
Der Himmel gehörte wieder den Vögeln
und den kleinen und großen Fischen das Meer.
Nur einmal, im Frühling, durchquerten das Schweigen
rollende Panzer, als ging´s in die Schlacht.
Sie kehrten, beladen mit Kirschblütenzweigen,
zurück, um sie drunten den Kindern zu zeigen.
Dann schlossen sich wieder die Türen zum Schacht.