Mit Benjamin Grüter, Mareike Hein, Robert Höller, Andrej Kaminsky, Michael Pietsch, Wolfgang Rüter, Hajo Tuschy und der Stimme von Siri | Regie: Jan-Christoph Gockel | Bühne: Julia Kurzweg | Kostüme: Amit Epstein | Puppenbau: Michael Pietsch | Musik: Matthias Grübel | Dramaturgie: David Schliesing | Fotos: Thilo Beu | Premiere: 10.11.2013
„Die Maschine, augenlos, aber alles sehend, ohrenlos, aber alles hörend, nicht Mann, nicht Weib und doch zeugend, empfangend, gebärend. Und neben den Maschinen: Die Menschen. Die haben Augen, aber sie sind wie blind, außer für eines: die Skalen ihrer Maschinen. Sie haben Ohren, aber sie sind wie taub außer für eines: das Sausen ihrer Maschine. Sie wachen und wachen und haben kein Denken mehr außer dem einen: Wenn meine Wachsamkeit nachlässt, wacht die Maschine auf aus dem geheuchelten Schlaf und fängt zu rasen an und rast sich selber in Stücke. Und die Maschine, die nicht Kopf noch Hirn hat, saugt und saugt mit der Spannung der Wachsamkeit – ewiger Wachsamkeit – das Hirn ihres Wächters aus dem Schädel und lässt nicht nach und saugt und lässt nicht nach, bis an der Maschine ein Wesen hängt – nicht Mensch mehr und noch nicht Maschine, leergepumpt, ausgehöhlt, verbraucht.“ METROPOLIS
Metropolis, Stadt der Superlative: Inmitten gigantischer Häuserschluchten führen die Menschen ein sorgenfreies Leben. Unter der Stadt jedoch schuften sich abertausende Arbeiter an gigantischen Maschinen zu Tode. Eigentlich regieren die Maschinen Ober- wie Unterstadt gleichermaßen. Sie zwingen Reiche wie Arme dazu, Sklaven eigener Errungenschaft zu werden: Sklaven einer durch und durch technisierten Zivilisation.
METROPOLIS, Fritz Langs monumentaler Stummfilm zeigt Menschen, die verbraucht und verbrannt werden und eine Technik, die die Menschheit kontrolliert statt umgekehrt. Die Filmbilder weisen weit über ihre Zeit hinaus und finden im globalen Kapitalismus des neuen Jahrtausends ihren Widerhall: in der (grade durch Edward Snowden aufgedeckten) massenhaften, digitalen Überwachung, in Selbstoptimierung und Selbstausbeutung, in Technisierung und dem dadurch entstehenden Druck am Arbeitsmarkt. Hinter all dem wartet die Übermaschine, die längst alles kontrolliert. Hal 9000 aus Kubricks ODYSEE 2001 trifft Fritz Langs Film und Thea von Harbous Drehbuch in der Halle Beuel des Schauspiel Bonn.
„Das Theater feuert ästhetisch aus allen Rohren, ist maßlos wie Langs Film. Und vor allem smart, up to date, anspielungsfreudig."General-Anzeiger, 11.11.2013
„Reizvoll.“
Nachtkritik.de, 10.11.2013
Hintergrund
„Krone der Schöpfung“, E.M. Forster (1909)
Der Mensch, Krone der Schöpfung, das edelste aller sichtbaren Wesen, der Mensch, den einst Gott nach seinem Bilde geschaffen hatte und dessen Stärke sich in der Stellung der Planeten widerspiegelte, der schöne nackte Mensch starb, erdrosselt in den Gewändern, die er selbst gewebt hatte. Jahrhunderte um Jahrhunderte hatte er sich abgemüht, und dies war seine Belohnung. Sicherlich, das Gewand hatte zuerst herrlich ausgesehen, schillernd von den Farben der Kultur, genäht mit den Fäden der Selbstverleugnung. Und herrlich war es gewesen, solange es ein Gewand war und nicht mehr, solange der Mensch es freiwillig ablegen und von der wesentlichen Substanz leben konnte, nämlich von seiner Seele, und von der genauso wesentlichen Substanz ebenfalls göttlichen Ursprungs – nämlich von seinem Körper.
Aus „Reboot the System – Making of Metropolis“, David Schliesing
(…) Der moderne Arbeiter im Büro ist im Gegensatz zu den Ausgebeuteten von früher kein Fremder mehr gegenüber seinem Produkt. Arbeiter der westlichen Gegenwart ist selbst das Produkt. Die Erschöpfung der Selbstvermarktung, der Selbstoptimierung, das sich in die Arbeit Hineintranszendieren wirkt sich als Selbsterschöpfung bis zu einer Leere aus, die vergleichsweise dem sinnlosen Prozess der Arbeit in „Metropolis“ zu gleichen scheint. Arbeit kennt heute keine lokalen und temporären Grenzen mehr. Kreativität ist selbst im Call-Center mittlerweile gefragt, flache Hierarchie sorgt für Eigenverantwortung aller. Selbst der Angestellte ist angehalten, ein Künstlerleben der Selbstinszenierung zu führen, auch im Privaten.
Um diesen neuen Arbeitsbegriff sichtbar werden zu lassen, entschieden wir uns dafür unsere Schauspieler durch eigens angefertigte Puppen zu doubeln. Die Puppen wurden zum Sinnbild der Selbstausbeutung. Während in Metropolit die Menschen noch getrennt von der Maschine leben (auch wenn sie während der Arbeit eins wurden), ist heute die Verschmelzung von Mensch und Maschine viel weiter vorangeschritten, als uns vielleicht überhaupt klar ist.
„Maschinenmensch“, Thea von Harbou (1926)
JOH FREDERSEN: Dass sich die Menschen an den Maschinen so rasch verbrauchen ist kein Beweis für die Gefräßigkeit der Maschinen, sondern für die Mangelhaftigkeit des Menschenmaterials. Menschen sind Zufallsprodukte, Freder. Ein-für-alle-mal-Wesen. Wenn sie einen Gussfehler haben, kann man sie nicht in den Schmelzofen zurückschicken. Man ist gezwungen, sie zu verbrauchen, wie sie sind. Wobei es statistisch erwiesen ist, dass die Leistungsfähigkeit der ungeistigen Arbeiter von Monat zu Monat geringer wird.
FREDER: Fürchtest du nicht, Vater – gesetzt den Fall, dass die Statistik recht hat und der Verschleiß an Menschen immer eiliger fortschreitet-, dass eines schönen Tages kein Futter mehr da ist für die menschenfressenden Gott-Maschinen?
JOH FREDERSEN: Der Fall ist denkbar … Dann muss man bereits Ersatz für den Menschen geschaffen haben. Den verbesserten Menschen. Den Maschinenmenschen.