“All meine Gedanken sind dort, auf den Straßen in Kiew, bei den Leuten in Kiew, ja sogar bei meinem Apartment in Kiew, in dem eigentlich meine Pflanzen gegossen werden müssten, was aber natürlich niemand machen kann. Meine Wohnung liegt in einem oberen Stockwerk mit einem schönen Ausblick. Eine Bombe könnte sie mit Leichtigkeit treffen.“ (aus: Drei Masken Verlag aus Il Manifesto)
In Green Corridors / Зелені коридори machen sich vier Frauen aus Charkiw, Tschernihiw, Butscha und Kyjiw auf den Weg an die Grenze zu Europa. Sie sind Zeuginnen von Vergewaltigung und Tod, bis auf eine Schauspielerin. Sie hat nichts Schreckliches erlebt, kann aber alles spielen… sogar hundertmal sterben.
Was kann Kunst in Zeiten des Krieges aus- oder anrichten, fragt das neue Stück von Natalia Vorozhbyt.
Nach ihrem erfolgreichen Stück und ihrem gleichnamigen Film „Bad Roads“ über die Situation im besetzten Donbass ist Green Corridors / Зелені коридори nun eine Parabel der Gegenwart, die Jan-Christoph Gockel in den Münchner Kammerspielen zur Uraufführung bringen wird. Zweisprachig und in Zusammenarbeit mit einer gemischten ukrainisch-deutschen Besetzung und einer Live-Zeichnerin, ist diese Arbeit auch ein Ergebnis des fortlaufenden Dialogs der Münchner Kammerspiele mit ukrainischen Künstler*innen im Rahmen der „Sisterhood Kiew-München“ ist. Die Premiere am 14. April wird im Rahmen des Festivals FEMALE PEACE PALACE gezeigt.
Vorozhbyt ist Spezialistin für die Perspektive einfacher Menschen in unsäglichen Zwickmühlen, das Verzweifelte ist bei ihr durchtränkt von einem tiefsitzenden, schwarzen Humor. Sie ist Dramatikerin und Drehbuchautorin, Kuratorin der Festivals „Doncult“ und „GOGOLFEST“ und Mitbegründerin des Festivals „Week of actual play“. Ihre Stücke wurden in ukrainischen Theatern, Großbritannien, Polen, den USA und Lettland aufgeführt. Außerdem arbeitete sie mit der Royal Shakespeare Company zusammen. Im Jahr 2004 erhielt sie den Literaturpreis „Eureka“ für das Stück „Galka Motalko“. Im Jahr 2020 erhielt sie den Preis des Filmclubs Verona für den Film „Bad Roads“ und den „Film Circle“ Opening of the Year“ Award für den Film „Bad Roads“.
Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus.“ – der erste Satz des Kommunistischen Manifests, 1848 von Marx und Engels verfasst. Der Satz wird häufig zur Beschreibung von Situationen paraphrasiert, in denen eine potenzielle Bedrohung Realität werden kann, wobei das Wort Kommunismus jeweils durch andere Wörter ersetzt wird. In unserem Fall kann „Kommunismus“ ebenfalls durch ein anderes Wort ersetzt werden – „Krieg“, „Ende der Welt“, „russische Welt“ usw.
Привид бродить по Європі — привид комунізму” – перша фраза з “Манифесту Комуністичної партії”, написаного в 1848 році Марксом і Енгельсом. Фраза зазвичай служить для різного роду парафразів, з заміною слова “комунізм” на інше, відповідне випадку, і застосовується для опису ситуації, коли потенційна загроза може виконатися, певне явище може стати реальністю. В нашому випадку “комунізм” можна теж замінити іншим словом – “війна”, “кінець світу”, “рускій мір”, тощо.
Natalia Vorozhbyt über ihre Vermessung des Krieges in „Green Corridors“, ihrem Auftragswerk für die Münchner Kammerspiele. Aufgezeichnet von der Dramaturgin Viola Hasselberg.
„Uns entgleitet die Logik“
VH: Was trieb dich beim Schreiben deines Auftragsstücks für die Kammerspiele, „Green Corridors“, an, worum geht es?
NV: Ich versuche intuitiv, meinen Flüchtlingszustand – den kollektiven Zustand – zu erkunden. Meine Erfahrung ist weniger tragisch als die Erfahrungen derjenigen, die nahe beim Feuer der Front geblieben sind. Sie ist aber auch wichtig. Und ich will mich nicht wiederholen, ich habe bereits „Bad Roads” zu diesem Thema geschrieben. Ich habe nur Fragen, keine Antworten. Zwischen fünf und sieben Millionen Flüchtlinge fanden sich innerhalb kurzer Zeit im Ausland wieder. Wie stehen wir zu ihnen? Wie denken wir über uns selbst? Man kann sich selbst nicht entkommen, nicht vor sich selbst weglaufen. Ich schreibe über Missverständnisse und unterschiedliche Wahrnehmungen, unsere von Europa, die europäische von uns, über Post-Trauma, über die unzerstörbare Natur des Menschen, der sich aggressiv und kleinlich oder unerwartet edel zeigen kann. Warum kehren viele von uns aus Gebieten des Friedens und der Sicherheit in die Kriegszone
zurück? Das ist ein dummer Traum, alles, was uns widerfährt. Und wie in jedem Traum entgleitet uns die Logik.
(Zum vollständigen Interview von mk Dramaturgin Viola Hasselberg mit Autorin Natalia Vorozhbyt hier entlang.)
Mehr Infos zum Stück hier – Vorabfoto von Armin Smailovic, Grafik von Sofiia Melnyk.