Vor genau hundert Jahren fuhr Joseph Roth in die Ukraine und berichtete von dort – aus seiner Heimat – für die Frankfurter Zeitung. Wir folgen seinen Spuren, die sich quer durch Europa ziehen, bis nach Lviv und zeigen dort am Zankovetska Nationaltheater die Inszenierung WER – VERDAMMT – IST JOSEPH ROTH? In Form von kurzen Blog-Einträgen wird unser Team über die nächsten Tage und Wochen von unserer Arbeit in Lviv erzählen.
Bewegt man sich auf die Grenze der Ukraine zu, fällt der rege Reiseverkehr auf. Der Nachtzug Wien-Lviv ist zum Beispiel immer ausgebucht. An der Grenze ins Land bilden sich Schlangen. Eine ukrainische Schauspielerin beschrieb einmal: „Die Reisen zurück nach Hause haben etwas Feierliches.“ Für mich ist die Reise in die Ukraine ein Arbeitsauftrag – eine Theaterinszenierung, zu der mich das Zankovetska Nationaltheater in Lviv eingeladen hat. Bei meinem ersten Besuch während der full-scale-invasion in Kyjiw hatte mich der Intendant Maksym Golenko angesprochen: „Jan, könntest du ein Stück bei uns inszenieren?“ – „Klar. Wann?“ – „Im Herbst!“ – „Welchem Herbst?“ – „Diesen Herbst.“
Im Krieg planen auch die Theater kurzfristig. So sind wir – ein deutsch-österreichisch-ukrainisches Team auf dem Weg nach Lviv. Zur Vorbereitung waren wir im Frühjahr schon einmal zwei Wochen lang hier. Im Zentrum stand die Frage: Was für eine Kunst brauchen das Theater, die Stadt, die Menschen gerade? Ein Schauspieler fand eine gute Antwort: „Wir müssen auf der Bühne nicht wiederholen, was wir in der Realität erleben: Düsternis, Verzweiflung, Tod. Aber leichte Ablenkung wäre auch verlogen. Es muss also eine Kunst sein, die uns im Hier und Jetzt zusammenbringt. Wir wollen lachen und gleichzeitig nicht so tun, als gäbe es den Krieg da draußen nicht.“
von Jan-Christoph Gockel, Regisseur
Foto: Jacob Suske