Der Untertan

Mit Anton Berman, Jannik Hinsch, Ursula Hobmair, Sven Hönig, Delaila Piasko, Michael Pietsch, Torsten Ranft, Lukas Rüppel | Regie: Jan-Christoph Gockel | Bühne: Julia Kurzweg | Kostüme: Sophie du Vinage | Puppenbau: Michael Pietsch | Musik: Anton Berman | Dramaturgie: Julia Weinreich | Fotos: Sebastian Hoppe



 „Wenn der Hass seine Grenzen erreicht hat und kein Genügen mehr findet, artet er in Furcht aus.“
Heinrich Mann, DER HASS

In DER UNTERTAN erzählt Heinrich Mann Diederich Hesslings Lebensgeschichte von dessen Kindheit bis hin zur Sicherung seiner Stellung in der wilhelminischen Gesellschaft. Diederich Hessling, „das weiche Kind, das am liebsten träumte, sich vor allem fürchtete und viel an den Ohren litt“, wird schließlich zum Eroberer der väterlichen Fabrik, begehrenswerter (reicher) Frauen und schließlich politischer Ämter. In der Inszenierung trifft der erwachsene Mann Diederich Hessling (Jannik Hinsch) auf sich selbst als Kind (die Puppe „Diedel“). Die beiden sind zwei Pole ein und derselben Figur, die sich permanent bekämpfen, verändern und die Positionen tauschen. Der Untertan ist der Unterdrücker, der „nach oben buckelt – nach unten tritt“, aber der eben auch von tiefer Romantik, von großer Sehnsucht und Angst geprägt ist.

Weltweit lässt sich das Anwachsen eines neuen Nationalismus beobachten. Dazu gehört in vielen Staaten ein scheinbares Zurückbesinnen auf die eigene Nationalgeschichte und damit einhergehend eine Glorifizierung oder Verklärung der eigenen Vergangenheit. In einer bitteren Satire analysiert Heinrich Mann die nationalistische Politik und deutsche Mentalität der Kaiserzeit und zeichnet eine Gesellschaft und ihre Protagonisten, die sich immer willenloser von den Strömungen des Zeitgeistes treiben lassen. Sie huldigen einem falschen Patriotismus und sind rücksichtslos auf ihre kleinen Vorteile bedacht. Die herrschende Moral ist doppelbödig. Eine Moral, die sich allein nach dem persönlichen Nutzen ausrechnet.

DER UNTERTAN wurde bisher nur selten auf deutschen Bühnen gezeigt. Mit Diederich Hessling hat Heinrich Mann 1914 jedoch einen Prototypen beschrieben, der uns immer und immer wieder begegnet: auf den Straßen von Dresden und Chemnitz. Neuerdings auch in Parlamenten. Dabei konzentriert sich die Inszenierung nicht nur auf das „weiche Kind“ Hessling, sondern auch auf seine Gegenspieler: die Demokraten, Künstler und Arbeitervertreter und ihren Widerstand gegen Hessling… der letztendlich scheitert. Heinrich Mann hat später selbst geschrieben, dass er seinen Helden unterschätzt hat.

„Gockel und sein Team inszenieren pralles Theater, das aus dem Vollen schöpft. Selten gelingen Romanadaptionen derart lebhaft.“ Elbmargarita, 09.09.2018

„Furiose erste Premiere im Schauspielhaus.“ Dresdner Morgenpost, 10.09.2018

„Gockel zeichnet eine große Groteske. Verdienter wie langer Applaus zur Premiere und der Wunsch, dass diese Inszenierung einige Jahre als Dresdner Meilenstein überlebt.“ Dresdner Neueste Nachrichten, 10.09.2018

„Es ist wirklich eine unglaubliche Figur, die der Puppenspieler Michael Pietsch geschaffen hat." Sächsische Zeitung, 10.09.2018

"Fazit: Tolle Dialoge, tolles Ensemble, muss man gesehen haben." DAWO, 12.09.2018

Hintergrund

Ein Auszug

Autoritäre Reflexe

Die Macht der Märkte weckt autoritäre Reflexe. Vielleicht rührt daher auch die Sehnsucht nach neuen Herren. Aus Angst, sich der anonymen Herrschaft globaler Märkte auszuliefern, sucht man Zuflucht in der autokratischen Politik. (Susan Neiman)

Bier-Comment

Ursprünglich als Parodie der studentischen Regelungen zum Duellwesen entworfen, wurde das gemeinschaftliche „Kneipen“ in der Kaiserzeit strengen Regeln unterworfen und fand seinen festen Platz im Verbindungswesen. (J. Weinreich)

Europäer

Wir gehen, jeder auf seinem Weg, dem Ziele aller entgegen, – und nicht einmal die Wege müssen für immer getrennt bleiben. Europa samt und sonders ist in jedem von uns, alle unsere Rassen in jeder, jede in allen. Keins unserer großen Länder, das nicht die volkreichen Grundtypen der anderen auch in sich vermischte. Die Mischungen sind verschieden; und je nach den Forderungen der Zivilisation und den Gelegenheiten der Geschichte überwiegt in einem Land zeitweilig ein Typ oder ein anderer. Jedes unserer Völker ist befähigt, eine anerkannte Wesensform des anderen einzutauschen, – und so schienen alle unsere Sprachen nur der Umriss eines einzigen vielgestaltigen Wesens, verwandt nicht allein im Stamm, in Haltung und Gebärde, sondern so abhängig voneinander durch Redensarten, Vergleiche, Wortspiele, dass wir oft glauben können, nicht die Sprache wandele sich von Land zu Land, sondern nur die Aussprache. Und unsere Gesichter! Gebilde von Vernunft und Fleiß, geprägt mit dem Stempel desselben Glaubens, durchgebildet vermöge der Gedanken derselben Meister, in vielen hundert Jahren verschont von den Spuren derselben Gesichte und Gedichte, derselben Musik; sind es Gesichter, oder ist es ein Gesicht, das europäische Gesicht? (H. Mann, 1915-1918)

Hass

Wir erdulden, was in Deutschland geschieht, und machen dabei die Wahrnehmung, dass wir vorher das Phänomen des Hasses kaum gekannt hatten. Man muss manches hinter sich gelassen haben, bevor man sich entschlossen dem unbegrenzten Hass ergibt. Oder aber, man war überhaupt nicht richtig zivilisiert. Die am wenigsten Zivilisierten für sich allein werden niemals fertig werden mit einer ganzen vorgeschrittenen geistigen Kultur und mit sozialen Gefügen, die aufgebaut waren auf dem Begriff der Menschenpflicht, füreinander einzustehen. Dazu braucht es Überläufer. Deutschland konnte allerdings das Hassland werden, weil es in Verwirrung geraten war. Der Nationalstolz kommt auch hinzu. Dieser Stolz ist verknüpft mit dem Hass der Deutschen rechts gegen die Deutschen links, und ohne diesen Hass wäre zu bezweifeln, dass er so wie jetzt, jedes Maß überschritten hätte. (H. Mann, 1933)

Lohengrin

Der LOHENGRIN in Augsburg war trist u. komisch, was für mich aber nicht weniger am Stück als an der Aufführung liegt. Ich habe Beobachtungen im Sinne Diederichs u. Gustes gemacht, habe alles notiert u. mache vielleicht einige hübsche Seiten daraus. Wie viel Dummheit in so einem Wagner-Helden, in dem Chor, in allem! (H. Mann an Maria Konová (Mimi Mann), München, 15. Oktober 1913)
Mit Katja und Erika in den LOHENGRIN, den wieder zu hören mich sehr beglückte. Das Milieu, fromm und früh, fesselte mich sehr. Ich dachte an Spenglers Leben der Kultur-Individuen. Dies ist die Jugend der unseren, romantisch gespiegelt. Heinrichs civilisatorische Verulkung im UNTERTAN ist häßlich. (Thomas Mann, 29.Juni 1919)

Macht

Die zeitgemäße Idee, die in den verschiedensten Verkörperungen von mir abgewandelt wurde, ist die Idee der Macht, und sie wurde mir zweifellos aufgedrängt durch den ganz auf Macht gerichteten Sinn des Wilhelminischen Imperialismus. Den UNTERTAN entwarf ich schon 1906 und ich beendete die Arbeit 1914, drei Wochen vor dem Krieg. (H. Mann)

Obrigkeit

Das Wort vom Staatsversagen ist ein gar nicht so fernes Echo jener Epochen von Bismarck bis Honecker, als der Glaube an den Obrigkeitsstaat Züge religiöser Verehrung trug. Es spricht daraus manch altes Untertanentum, das vom Staat das Heil erwartete (und der dafür kritiklose Zustimmung verlangte und bekam). Geblieben davon ist eine überbordende Anspruchshaltung an die Regierung, an die Träger von Verantwortung allgemein. Wer jedoch so denkt, begreift das demokratische Gemeinwesen nicht als freiheitliches Projekt, an dem er teilhat und das ihm tausend Chancen bieten würde, sondern als Fürsorgeanstalt. (Joachim Käppner)

Theater

Hessling spielt die Rollen, von denen er glaubt, dass sie von ihm erwartet werden, die Rollen, die durch Unterwerfung unter die Macht auszufüllen sind und die er dann verinnerlicht. Seine Identität (nicht als Person, da bildet er keine Identität aus, sondern als Untertan) ist im Rahmen des auffälligen Theatertopos entwickelt. (Ariane Martin)

Untertan

Sein Held ist es, den der Autor um Entschuldigung bittet. Er hat mehr über ihn gewusst als irgendwer, aber doch nicht, dass er es so weit bringen würde. Er hat ihn ungemein ernst genommen, aber so furchtbar ernst nicht. Der Autor hat nicht geglaubt, sein Held werde die letzte Folge seines Daseins erleben, den Krieg gegen Europa. Er sah wohl, alles, schon in den Anfängen des Helden, drängte zu solchem Ende. Diederich Hessling hatte den Drang nach Macht zu seinem Evangelium erhoben. Durchschaut hatte er das Trügerische u. das gänzlich Unverbindliche in den Begriffen der demokratischen Verbürgerlichung, der Europa, und bis zu seinem eigenen Auftreten auch Deutschland, noch anhingen. Freiheit, Gerechtigkeit, Wahrheit, Menschlichkeit erlagen seiner Skepsis; allen Zweifeln entrückt blieben nur Zucht, Macht, Nutzen, Herrentum seiner eigensten Entwicklung. Diederich Hessling hatte diese Erkenntnis ausgesprochen, lange bevor der Anlass eintrat, sie zur Tat zu machen, u. der Autor wusste darum. Der Autor hatte es niedergeschrieben, bevor der 2. August 1914 da war. Jeden Satz des Hessling’schen Werdeganges hatte der Autor vor jenem 2. August zu Ende geschrieben, u. nur der Autor, nicht sein Held, war in dem Irrtum befangen, dieser 2. August werde nicht kommen. Der Autor bittet seinen Helden um Entschuldigung, der Held war der Stärkere. (H. Mann, 1915)

Verachtung

Der Psychologe und Philosoph Carlo Strenger vertritt die These, Toleranz und Respekt würden heute so überstrapaziert und falsch verstanden, dass die offene Gesellschaft sich nicht mehr gegen einen beliebigen Kulturrelativismus verteidigen kann. Das Heilmittel, das er vorschlägt, heißt „zivilisierte Verachtung“ und meint das unmissverständliche Zurückweisen von Positionen, die den Grundwert der Freiheit bedrohen. (J. Weinreich)